Der streunende Hund

Nora Inu

Japan 1949
Deutscher Titel: Der streunende Hund
Länge: 122 Minuten
Regie: Akira Kurosawa
Drehbuch: Ryuzo Kikushima, Akira Kurosawa
Produktion: Sojiro Motoki
Musik: Fumio Hayasaka
Kamera: Asakazu Nakai
Schnitt: Toshio Goto, Yoshi Sugihara
Besetzung: Toshiro Mifune (Murakami), Takashi Shimura (Sato), Keiko Awaji (Harumi Namaki), Eiko Miyosi (Harumis Mutter), Isao Kimura (Yusa), Gen Shimizu (Inspektor Nakajima), Reisaburo Yamamoto (Hondo).

Anmerkung: Während einer zermürbenden Hitzewelle über dem zerbombten Nachkriegs-Tokio bekommt ein Neuling der Mordkommission, Murakami, seine Pistole in der Straßenbahn gestohlen. In der Folge macht er Jagd auf den Taschendieb, und erst als dieser entkommt, meldet er den Verlust voller Scham an die Zentrale. Auf der Suche nach möglichen Verdächtigen begibt er sich undercover in das Labyrinth der Stadt. Als seine Waffe jedoch bei einem Verbrechen verwendet wird, wendet sich Murakami an den älteren und erfahreneren Detektiv Sato. Durch die Befragung eines Verdächtigen stellen Sato und Murakami bei einem Baseballspiel den Waffenhändler Honda. Dieser bringt sie auf die Spur von Yusa, einem enttäuschten Kriegsveteran, der jedoch verschollen scheint. Die Polizisten verhören Yusas Schwester und seine Geliebte, das Showgirl Harumi Namiki, – erneut ohne Erfolg. Murakamis Waffe wird nun in einem anderen Verbrechen, diesmal als Mordwaffe benutzt. Die Polizisten befragen Namiki am Haus ihrer Mutter. Es gelingt Sato, den Verdächtigen in einem Hotel zu stellen, er wird jedoch angeschossen. Der verzweifelte Murakami kommt früh genug, um im Krankenhaus Blut für seinen Freund zu spenden. Am nächsten Morgen informiert Namiki Murakami im Krankenhaus, dass sie einen Termin mit Yusa am Bahnhof hat. Murakami rennt zu dem Treffen und verfolgt Yusa in einen nahe liegenden Wald, wo es zum verheerenden Endkampf kommt. Zurück im Krankenhaus, hat sich Sato bereits erholt und gratuliert Murakami zur Beförderung. – Ein streunender Hund gilt als Kurosawas japanese noir. Dabei ist er in seinen semidokumentarischen Bildern vom Alltag der Nachkriegsgesellschaft vor allem vom italienischen neorealismo geprägt. Auch erscheint der Charakter Murakamis weniger ambivalent, als dass er lange wie ein tragischer Verlierer erscheint. Typisch ist das Meister-Schüler-Verhältnis, das er zu Sato aufbaut, sowie die Doppelgänger-artige Konstruktion des frustrierten Veteranen Yusa, mit dem Murakami am Ende im Schlamm liegend deutlich parallelisiert wird. Wie Zwischen Himmel und Hölle in seiner zweiten Hälfte ist der Film zudem ein Polizeifilm mit minutiöser Darstellung der langwierigen Ermittlungen. Dies gibt Kurosawa die Möglichkeit, einen Mikrokosmos der japanischen Nachkriegsgesellschaft zu entfalten.

Engel der Verlorenen

Yoidore Tenshi

Japan 1948
Deutscher Titel: Engel der Verlorenen / Der trunkene Engel
Länge: 98 Minuten
Regie: Akira Kurosawa
Drehbuch: Keinosuke Uegusa, Akira Kurosawa
Musik: Fumio Hayasaka
Kamera: Takeo Ito
Besetzung: Takashi Shimura (Sanada, der Doktor), Toshiro Mifune (Matsunaga, der Gangster), Reisaburo Yamamoto (Okada, der Bandenchef), Chieko Nakakita (Miyo, die Krankenschwester), Michiyo Kogure (Nanae, Matsunagas Geliebte), Noriko Sengoku (Gin, das Barmädchen), Eitaro Shindo (Takahama, der Freund des Doktors), Choko Iida (der alte Diener).

Anmerkung: Der alkoholkranke aber idealistische Arzt Sanada arbeitet in seiner Praxis in einem Armenviertel der Nachkriegszeit nahe eines giftigen Tümpels. Eines Abends kommt der Gangster Matsunaga vorbei, der nach einer Schießerei mit einem rivalisierenden Syndikat eine Verletzung behandeln lassen muss. Sanada näht die Wunde grob zu, denn der Kriminelle ist ihm sichtlich unsympathisch. Doch er bemerkt einen chronischen Husten bei dem Patienten, der sich als fortgeschrittene Tuberkulose herausstellt. Sanada überzeugt Matsunaga, eine Behandlung zu beginnen und dem Alkohol zu entsagen. Aus einer turbulenten Hassliebe entwickelt sich eine verhaltene Freundschaft der Männer, die jedoch erschüttert wird, als der ehemalige Syndikatsboss Okada aus dem Gefängnis entlassen wird und versucht, seine Bande erneut zu übernehmen. Matsunaga fällt wieder in seine alten Gewohnheiten zurück, bedroht Sanada und will zu Okadas Yakuza-Syndikat zurückkehren. Doch bald erkennt Matsunaga, dass Okada ihn verraten hat und den Rivalen ausliefern will. Matsunaga konfrontiert Okada, wird von diesem aber in einem dramatischen Kampf erstochen. Eine junge Verehrerin Matsunagas wird seine Asche auf das Land bringen um ihn außerhalb der Stadt beizusetzen, auf dass er Frieden finde. Sanada erklärt, dass der junge Mann aufgrund seiner Tuberkulose ohnehin gestorben wäre. – Engel der Verlorenen gilt aufgrund seines düsteren Chiaroscuro-Stils, seines Nachkriegspessimsismus’ und seiner ambivalenten Charaktere als japanischer Film Noir. Tatsächlich mäandert die Inszenierung zwischen ‚male melodrama’ (der tragisch erkrankte junge Gangster, der humanistische aber alkoholkranke väterliche Arzt) und Yakuza-Thriller und interessiert sich – für den Regisseur typisch – vor allem für die männliche Hassliebe zwischen Gangster und Arzt, die sich beide als fehlbar erweisen. Aufgrund seiner drastischen Themen (Nachkriegs-Kriminalität, Krankheit, Slums, Alkoholismus, Gewalt, Prostitution) hatte Kurosawa zunächst Mühe, den Film durch die Zensurinstanzen zu schleusen. Kurosawas Lehrer ‚Yama-san’ hatte den jungen Mifune entdeckt, in Engel der Verlorenen jedoch wurde der Schauspieler erstmals öffentlich wahrgenommen. Da Kurosawa Mifune nachhaltig etablieren wollte, gestaltete er dessen Rolle positiver als zunächst geplant, was letztlich die Balance des Films stört, denn die Freundschaft der Protagonisten entwickelt sich nicht immer überzeugend. Doch Kurosawa ging es um die schauspielerische Intensität, die sich in den machistischen Gesten Mifunes Bahn bricht und mit Shimuras knurriger Zurückhaltung konkurriert. Mit Musik geht Kurosawa hier ungewöhnlich um: In Momenten größter Verzweiflung und emotionaler Verfinsterung spielt er den leichten „Kuckuckswalzer“ ein; am giftigen See sitzt ein Straßenmusikant und spielt traurige Gitarrenstücke; und in der Diskothek ist ein von Kurosawa selbst getexteter Song namens „Jungle Boogie“ (gesungen von Shizuko Kasagi) zu hören, den man als Parodie auf den damals populären amerikanischen Jazz verstehen kann.


Ein wunderschöner Sonntag

Subarashiki Nichiyobi

Japan 1947
Deutscher Titel: Ein wunderschöner Sonntag
Länge: 108 Minuten
Regie: Akira Kurosawa
Produktion: Sojiro Motoki
Drehbuch: Akira Kurosawa, Keinosuke Uegusa
Musik:  Tadashi Hattori
Besetzung: Chieko Nakakita (Masako), Isao Numasaki (Yuzo), Midori Ariyama (Sono, Yamiya’s Geliebte), Masau Smikizu (Tanzhallenmanager), Ichiro Sugai (Yamiya, Schwarzmarkthändler).

Anmerkung: Das junge Paar Yuzo und Masako ist an einem Sonntagmorgen in der Stadt verabredet, um einen Tag ohne Sorgen und Not zu verbringen. Leider stehen ihnen nur 35 Yen zur Verfügung, eine geringe Summe für gemeinsame Unternehmungen. Und der Tag nimmt bereits zu Beginn eine unglückliche Wendung: Beim Ballspiel mit einigen Jungen beschädigt Yuzo versehentlich einen Kiosk und muss den Schaden bezahlen. Auch der spontane Zoo-Besuch verläuft ernüchternd, denn der Krieg hat den Zoo entvölkert. Aufkommender Regen verschlechtert die Situation, denn Geldmangel lässt sogar den Cafébesuch zur Artutserfahrung werden. Der Versuch, noch Tickets für Schuberts Unvollendete Sinfonie zu bekommen, endet im Fiasko: Als Yuzo die Tickets von Schwarzmarkthändlern erstehen möchte, wird er stattdessen zusammengeschlagen. Masako muss ihren frustrierten Geliebten immer wieder aufbauen. Der Film endet in einem leeren Amphitheater, wo Yuzo zu Masakos Vergnügen ein imaginäres Orchester zu dirigieren beginnt. Auf der Tonspur ist nun Schuberts Unvollendete zu hören… Nach Kein Bedauern für meine Jugend schlug Kurosawa erneut einen neuen Weg ein: Er drehte ein melancholisches Melodram im Stil seines Lehrmeisters Kajiro Yamamoto. Den Film zeichnet der ständige Kampf um eine optimistische Lebenshaltung aus, die in unterschiedlichen Situationen auf die Probe gestellt wird. Wie auch in späteren Filmen bis hin zu Madadayo ist es die Kraft der Imagination, in der hier Hoffnung liegt – ausgeführt in der langen Schlusssequenz im Amphitheater. Auch dieser Film zeigt in seiner sozialkritischen Ausgangssituation und alltagsorientierten Umsetzung Anklänge an den neorealistischen Nachkriegsfilm, der an Originalschauplätzen gedreht eine Gesellschaft am Rande der Armut zeigt.

Kein Bedauern für meine Jugend

Waga Seishun Ni Kuinashi

Japan 1946
Deutscher Titel: Kein Bedauern für meine Jugend
Länge: 110 Minuten
Regie: Akira Kurosawa
Drehbuch: Eijirô Hisaita, Akira Kurosawa, Keiji Matsuzaki
Produktion: Keiji Matsuzaki
Musik: Tadashi Hattori
Schnitt: Akira Kurosawa
Besetzung: Setsuko Hara (Yukie), Susuma Fujita (Ryukichi Noge), Akitake Kono (Itokawa), Denjirô Okochi (Professor Yagihara).

Anmerkung: Yukie ist die verwöhnte und naive Tochter des Professors Yagihara. Sie wird von zwei seiner Studenten, Ryukichi Noge und Itokawa, umworben, kann sich jedoch nicht zwischen ihnen entscheiden. Professor Yagihara wird wegen seiner liberalen Ansichten vom Hochschuldienst suspendiert, Noge schließt sich einer links-demokratischen Studentenorganisation an und wird bei einer Demonstration verhaftet, während Itokawa sich abwendet und in den Staatsdienst eintritt. Yukie verlässt ihr Elternhaus und zieht nach Tokio, wo sie nach einigen Jahren Itokawa begegnet, welcher inzwischen verheiratet ist. Er bringt sie mit Noge zusammen, der auch in Tokio lebt. Beide heiraten bald. Noge wird wegen seines linken politischen Engagements erneut, diesmal zusammen mit Yukie, verhaftet und stirbt im Gefängnis unter Fremdeinwirkung. Yukie wird entlassen und sucht Noges Eltern auf, die als Reisbauern in einem Dorf leben. Aufgrund der politischen Aktivitäten ihres Sohnes werden beide in der Dorfgemeinschaft gemieden und zum Teil tyrannisiert. Yukie gewinnt durch harte Arbeit und unerschütterlichen Willen schließlich die Anerkennung beider und schafft es, ihren Charakter zu stärken. – Dies ist Kurosawas deutlich politischster Film, der im Rahmen des von den amerikanischen Besatzern geforderten Demokratisierungsprogramms entstand. Während er in der ersten Hälfte stilistisch eher konventionell erscheint, ist Kurosawas Inszenierung in der Passage über das Landleben, in das sich das abtrünnige Großstadtmädchen flüchtet, deutlich in ihrem Element. Der Film betont einen Stadt-Land-Konflikt, der auch das nationale Dilemma zwischen Tradition und Moderne reflektiert – düstere, erdige Bilder beschließen einen Film, der auch inhaltlich die Abkehr von der militaristischen Diktatur, in die die aufziehende Moderne in Japan mündete, vorführt. Obwohl auch dieser Film retrospektiv eher untypisch erscheint, ist er aufgrund seines expliziten politischen Gehalts interessant für Kurosawas Perspektive auf sein Heimatland zu dieser Zeit. – Der aus Kein Bedauern für meine Jugend entlehnte Satz „Ich bereue nichts“ wurde zu einem Schlagwort seiner Zeit und fand Verwendung in den tagesaktuellen Medien. Der Film entstand zwischen den beiden großen Streiks der Tōhō, zwischen Februar und Oktober 1946, in nur zweimonatiger Arbeit. Durch einen Sieg beim ersten Streik bekam die Tōhō-Betriebsgewerkschaft einen starken Machtzuwachs. Die Anzahl der KP-Mitglieder nahm zu, wodurch ihre Stimme in der Filmproduktion deutlich mehr Gewicht bekam. Sie gründeten ein Komitee zur Prüfung von Drehbüchern, das Kurosawa zwang, sein Drehbuch umzuschreiben und so eine überarbeitete Fassung zu drehen: Zur selben Zeit existierte ein eingereichtes Drehbuch mit einem ähnlichen Stoff zum Inhalt; Kurosawa allerdings war der Ansicht, dass diese beiden Drehbücher den Stoff auf sehr unterschiedliche Weise angingen und deshalb zwei unterschiedliche Filme herauskommen würden. Das Komitee verwarf dies, aber einige Mitglieder stimmten ihm nach Beendigung der Dreharbeiten dann doch zu. Zudem fanden in der Nachkriegszeit eine Landreform und eine Auflösung japanischer Großkonzerne durch das von den amerikanischen Besatzern eingesetzte GHQ statt. Deshalb wurde Kurosawa durch die Unternehmensgewerkschaft der Tōhō dazu genötigt, diesen Umstand mit einzubeziehen, was er  im letzten Drittel seines Films umsetzte.